Acht Wortschätze …

Heutzutage geht man – zumindest in Wien – nicht mehr ins China-Restaurant, weil es so etwas Besonderes ist, sondern weil die Menues so billig sind. Dementsprechend abgelutscht sind Gerichte wie Peking-Ente, Hühnerfleisch Chop-Suey und Acht Schätze.

Letzthin musste ich als Folge eines Kompromisses eine hungrige Freundin in ein China-Restaurant begleiten und entdeckte prompt etwas ganz Spezielles.

Die Speisekarte studierte ich mit anderen Augen, weil ich diesmal wenigstens etwas anderes als das Übliche bestellen wollte. Leider fand ich kaum verständliche Erklärungen zu den chinesischen Namen der Gerichte, weshalb ich die Bedienung genauer ausfragte: „Was ist Wan Tu Shao?“, wollte ich wissen und bekam als Antwort: „Fis“.

„Und was ist Wan Tu Shiado?“ „Auch Fis“, antwortete die Kellnerin und lächelte verlegen.

„Was ist der Unterschied?“

„Tsuldigung, ich nit vastehen.“ Sie verzog verzweifelt ihr Gesicht.

„Was ist Wan Tu Shao für ein Fisch?“, war mein nächster Versuch.

„Fis“, sagte sie, zuckte mit den Schultern, lächelte noch freundlicher und begann sich zu verneigen.

„Und Wan Tu Shiado?“

„Auch Fis!“ Nun war sie  sichtlich froh, eine Antwort gefunden zu haben, die diesmal logisch war.

Ich wollte nicht riskieren, dass es peinlich wurde, weil die Kellnerin so freundlich und die Sache hiermit sowieso bestmöglich erklärt war, und deshalb bestellte ich einfach Fis.

Welchen, das weiß ich nicht mehr, ich hätte den Unterschied sowieso nicht bemerkt, weil ich den (den Unterschied, aber auch den Fis)  ja von Haus aus nicht kannte. Er schmeckte gut.

Dann geschah was an der Bar:

Ein Betrunkener kam herein. Trank und trank, wurde lauter und lauter, die Gäste begannen sich zu beschweren, und zu guter Letzt klapste er der Bedienung auf den Hintern.

Endlich begann eine Tirade:

„Schau, dass d‘ außekummst, Deppata, zoi des und geh, schleich di, solche Gäst wia di woll‘ ma do net!“, war in reinstem Wiener Slang zu hören, und der Feind war alsbald draußen.

Ich glaubte meinen Sinnen nicht zu trauen, als ich realisierte, wer sich da so wortgewaltig durchgesetzt hatte: es war unsere freundliche Bedienung, die so verzweifelt war, weil sie von der Speisekarte nur „Fis“ übersetzen konnte. Ja: genau sie!

Klar, dass Immigranten genau die Vokabeln zuerst beherrschen, die sie schon von Anfang an am meisten gebrauchen.

Die Situation von Immigranten ist doch immer ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der sie sich bewegen. Genauso wie „bei die Fis“.

Chinesisch
Markiert in:                         
Man revolutioniert nicht, indem man revolutioniert, sondern indem man Probleme löst.”
Le Corbusier (1885-1965)
GrohsFORMAT benutzt Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit dieser Webseite zu verbessen. Wenn Sie mit Ihrem Besuch auf dieser Website fortfahren, nehmen wir an, dass Sie mit der Verwendung von Cookies einverstanden sind.