Papier und mehr …

Briefe aus der Provinz/ Der Bludenzer/ Sabine MüllerDen Tresor haben wir schon lange. Wir übernahmen eine alte Wohnung und er war Teil des stehengebliebenen Mobiliars. Und jeden Umzug machte er seitdem mit: ein alter, mit Gusseisen verzierter, zweiteiliger Tresor aus der K&K-Zeit.

Er war in sehr gutem Zustand und vor allem wunderschön und dekorativ. Wir hatten uns sofort in ihn verliebt, und das legitimierte die Schwierigkeit, ihn bei jedem Umzug mit seinen 400 kg transportieren zu müssen. Einen Schlüssel dazu gab es freilich nicht.

Die schönsten Sagen webten sich um das Teil. „Wenn kein Schlüssel dabei ist, hat ihn jemand verlassen, der glaubte, er kommt wieder zurück. Da kann noch ein Vermögen drin sein!“, hörten wir fast immer, wenn ein neuer Blick darauf fiel. Uns war es egal. Wir fanden es sogar schön, mit dem Kitzel zu leben, vielleicht sogar heimlich reich zu sein – und trotzdem die Chuzpe zu haben, uns nicht oder nur wenig dafür zu interessieren.

Dann kam der Geburtstag, an dem ich beim besten Willen keine Idee hatte, was ich schenken sollte. Mein Onkel wusste von einem Schlosser, den er kenne, der habe ihm erzählt, dass er immer wieder Tresore öffne. Das war´s!

Ich rief in der Firma an. Und fand dann eine andere, die mir die Nummer eines wieder anderen Schlossers gab, der das auch könne, denn die alten K&K-Tresore … Diesen Schlosser rief ich als Letzten an, er war am Telefon sehr sympathisch und vermittelte mir einen professionellen Eindruck. Er schien viel Erfahrung mit Schmuckstücken wie dem unseren zu haben, denn kaputtgehen, das durfte er auf keinen Fall.

„Wann können Sie denn kommen?“ – „Heute Abend“, sagte er und nahm mich damit total für ihn ein.

Er kam, sah sich den Tresor an und wir besprachen die Möglichkeiten. „Aber machen Sie sich keine Hoffnungen, da ist ganz sicher nichts drin“, meinte er lachend, und ich bemühte mich, nicht allzu hoffnungsvoll zu schauen. „Ich habe schon die schwierigsten Stücke vor versammelten Erben geöffnet, und die langen Gesichter danach kann ich schon nicht mehr sehen!“, erzählte der Schlosser. Und wenn man gemeinsam lacht, hat man schon einen Grund, per Du zu sein.

Zu dritt unterhielten wir uns noch einige Biere lang und verbrachten einen schönen Abend. Als er ging, hoffte ich, dass er so schnell wie möglich wiederkomme, denn jetzt war ich neugierig. Prompt war er am nächsten Tag wieder da. Wir mussten ihm beim Tragen helfen, so viel Werkzeug hatte er dabei. Eine Stunde lang arbeite er so konzentriert, dass wir uns kaum trauten, ihn anzusprechen. Wir fühlten uns wie zu Weihnachten, als er plötzlich rief: „Das war´s, kommt her, er geht auf!“

Was drinnen war? Ein leeres Meldezettel-Formular aus den 1920er-Jahren, ein paar Rechnungen, alte Fotos und ein herrenloser Schlüssel. Die Unterlagen waren nicht uninteressant, aber es war weder ein handgeschriebener Gedichtband eines großen Namens, noch ein Tagebuch, schon gar kein Schmuck, keine Aktie, kein Geld, oder was weiß ich noch alles. Papier eben. Na gut.

Die Öffnung des Tresors wurde mit dem Geburtstag zusammen feierlich begossen: Auch der Schlosser kam zum Fest, mit ihm seine Frau und seine Kinder. Und auch wenn der Tresor praktisch leer war, haben wir sehr viel gewonnen. Wir haben nicht in ihm, sondern durch ihn einen veritablen Schatz gefunden: neue Freunde.

Der Schatz
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Minds are like parachutes. They only function when they are open.”
Sir James Dewar, Wissenschaftler (1877-1925)
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