Neues Buch, neue Welt …

Ein Mensch, der nur auf sein Herz hört, der niemandem gehorcht, der tut, was er will, und der nie Angst hat – der muss durch die Lüfte gehen können. Viele haben es schon versucht, ich glaube nicht, dass es bis jetzt jemand wirklich geschafft hat, zumindest habe ich es nicht mit eigenen Augen gesehen. Aber probieren? Viel, oft, mit mehr oder weniger Erfolg und jeder auf seine eigene Art – auch Robert Schneider.

Was hat die Welt erwartet? Schlafes Schwester? Die kann es nicht geben, genausowenig wie eine andere Fortsetzung von Schlafes Bruder. Dieses Buch an Erfolg zu übertreffen, hieße, es kleiner zu machen, als es ist. Es ist unerreichbar, in seinen Geschichten, seiner Sprache und vor allem in der Welt, die es vermittelt.

Also heißt das zweite Buch von Schneider „Die Luftgängerin“ und ist – anders.

Die Luftgängerin ist realistisch. Es ist eine Freude, kleine Episoden zu lesen, die einem schon aus den Vorarlberger Medien bekannt sind – nur eben in anderen Worten, mit abgewandelten Personen. Auf fast jeder Seite der Luftgängerin erkennt man das Ländle wieder – nicht nur, wenn Schneider über die Grenzen des Dialekts oder die Textildynastien schreibt. Dieses Buch ist ein einziges Aha-Erlebnis. Und damit es keine Nacherzählung der kleinen regionalen Zeitgeschichte wird, hat Schneider wieder eine Story eingebettet, die phantasievoll abgehoben wirkt, eben, als Gegensatz, nicht realistisch, und gleichzeitig doch.

Verwirrend? Ja. Aber wer aus dem Buch mehr herausholen will als blanke Buchstaben, Worte und Sätze, wer es öfter lesen will, der mag die Luftgängerin.

Jedesmal, wenn man eine Passage, ein paar Seiten wieder liest, geht einem ein neues Licht auf: man entdeckt andere Sichtweisen, man versteht die Szene, oft die ganze Geschichte anders, und das immer und immer wieder. Und das sehe ich als unendlichen Reichtum, gerade als Vorarlberger: denn man bezahlt das Buch nur einmal und hat dafür Millionen Geschichten!

Kein Wunder, dass gerade die Vorarlberger Medien (die vielen …) die Luftgängerin nicht schätzen: sehr gut kommen sie in dem Buch ja auch nicht weg, und manch einer, der sich in den Zeitungen gegen das Buch gewehrt hat, mag sich selbst darin wiedergefunden haben. Eingepackt in Schneiders wendige Phantasie fühlen sich bequeme Menschen sicher nicht wohl. Wer sich über neue, faszinierende Gedankengänge nicht freuen kann, sondern auf dem Erprobten beharren will, weil er sich selbst zu ernst nimmt und sich vor allem weigert, die fixierten Schienen seiner Denkmuster zu verlassen, wird sich entsetzen und vielleicht „A…“ schreien. So in die Luft zu gehen ist vielleicht nichts anderes als ein zum Scheitern verurteilter Versuch, selbst durch die Lüfte zu gehen.

Schneider winkelt das Knie an, vielleicht schafft er sogar ein paar Schritte durch die Luft. Was ihm auf jeden Fall gelingt: er denkt so, wie er denkt und lebt trotzdem in Vorarlberg. Er behält sich seine eigene Denkweise und führt sie in seinem Buch, in seiner Idee aus. Er lebt die reale Welt in Vorarlberg, ist ein Teil von ihr und kann sich doch in seinen Gedanken davon distanzieren. Und gleichzeitg so darüber schreiben, dass vieler Leute Augen glänzen und sie sich doch getrauen, wenigstens zu staunen und vielleicht auch zögernd den Fuß zu heben …

… durch die Luft in eine neue Welt.

Schlafes Schwester
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Daß wir miteinander reden können, macht uns zu Menschen.”
Karl Jaspers, dt. Philosoph (1883-1969)
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