Nein, darf er nicht.

facebook post psychische Gewalt 18.12.2024Als ich das schreibe, haben wir das Jahr 2024.  52% der österreichischen Staatsbürger:innen sind Frauen. An den Universitäten: mehr Frauen als Männer. Student:innen, natürlich. Bei den Professor:innen und Ausgebildeten in höheren Positionen überwiegt der Männeranteil. Bei den Sekretär:innen ist das wieder anders.

Ich kenne Männer, die Kinder alleine erziehen. Jeder von ihnen sagt: „Also ohne die Hilfe von … würde ich das nicht schaffen“, und „Ich ziehe meinen Hut vor jeder Frau und Mutter, vor jeder: das kann man sich als Mann gar nicht vorstellen, was für eine Leistung das ist, Kinder zu erziehen, bevor man nicht selbst einmal komplett allein in der Verantwortung war …“.

Ich habe viele Freundinnen, aber keine einzige, die „nichts tut“, also „nur“ zu Hause für die Kinder da ist. Ich habe einige, die gehen putzen, „wenigstens“. Alle haben Kinder, alle lachen in guten Zeiten mit mir über die Situation, alle weinen über die gleichen, ewiggestrigen, sich scheinbar nie ändernden Situationen und Dinge.

So wie diese, heute, facebook.

Da geht einer her, Trennung, und hat nichts Besseres zu tun, als die Mutter seiner Kinder (und die Kinder, aber das, denke ich, wird ihm wohl nicht bewusst sein) zu terrorisieren, belästigen, psychisch zu quälen. Weil: Man muss ihr zeigen, wo der Bartl den Most herholt, der verrückten hysterischen Ziege, die sich jetzt auch noch trennen will. Na, der kann er aber einschenken. Die hat ja sonst eh nichts zu tun, Kinder, Haushalt, vielleicht Job und so. Der muss man’s zeigen.

Und ein anderer gibt gleich seinen unnötigen Senf dazu: „was ich so raus höre, hat er bis jetzt nichts gemacht, oder darf ich nicht vor dem Fenster meiner eigenen Wohnung stehen?“

Der das schreibt, ist ein junger, hübscher Bursch, ich hab mir sein Profil angesehen. Er hat sogar eine Schwester und einen soliden Job, ein „Köriga“, sagt man hier in Vorarlberg. Und ich bete zu Gott, dass er meinen Töchtern nie begegnen möge. Deshalb muss ich ihm hier nochmal ausführlich antworten, und nicht nur ihm, sondern der ganzen Welt der Verschrobenen Ewiggestrigen Männerverherrlichenden Frauen-in-Not-Missachtenden.

Nein, darf er nicht.

Wenn das, was er tut, die Frau bedroht, darf er das nicht, nein.
Wenn sie das, was er macht, als Bedrohung empfindet, dann darf er das auch nicht.
Wenn er es strategisch macht, um sie fertigzumachen, schon gar nicht – deshalb ist es extrem wichtig, Frauen, dass Ihr solche Vorkommnisse immer genau dokumentiert: Datum, Uhrzeit, was ist vorgefallen, und am besten noch Zeugen dazu. Eventuell die Reaktion der Kinder, wenn sie etwas mitbekommen haben. In Stichworten, keine Romane. Aus so einer sauber geführten Liste kann man nach einiger Zeit sehr gut herauslesen, ob er „einfach nur vor seinem Fenster steht“ (wie es jeder andere auch jeden Tag bei seiner Ex macht (?!), ist doch ganz normal?) oder ob sie „hysterisch ist und einen Vogel hat“.

Er hat doch bis jetzt nichts gemacht!

Doch, hat er. Er hat ihr Angst gemacht. Und seinen Kindern auch, wenn sie es miterlebt haben. Falls sie schon schlafen, wenn er nachts auftaucht und an den Fenstern steht und sehr skurrile Dinge macht, erleben sie es auch mit: Kinder riechen den Zustand ihrer Mutter, so sicher wie das Amen im Gebet. Ob sie glücklich ist oder zerstreut, ob sie in sich ruht und stark ist, ob sie Angst hat oder nervös ist, weil sie nachts nicht schlafen kann. Weil sie auch noch die Trennung am Hals hat, jetzt zu Weihnachten, und Geschenke und Christbaum und Eltern und Familie und Schularbeiten und Tests und Staubsaugen und Menü planen und … überlegen und Freundinnen fragen, ob das, was sie empfindet – Angst – berechtigt ist. Ob man da vielleicht was machen kann. Ob sie sich eventuell mal erkundigen könnten. Weil er so skurrile Dinge macht.
Er hat ihr „bis jetzt“ etwas getan: Er macht ihr Angst, er quält sie psychisch.

Bis jetzt

Ganz wichtig: Die Formulierung „Er hat bis jetzt nichts gemacht“. Der Schreiber stellt also selbst – unbewusst, schon klar – in den Raum, dass das ab jetzt oder irgendwann mal anders sein könnte. Dass so ein Angstmachen schon das Potential in sich birgt, auszuufern. Dass ihr oder den Kindern „irgendwann einmal“ sehr wohl etwas „getan wird“. Von ihm.
Bis jetzt war das zwar auch nicht anders, denn, siehe oben, auch psychische Gewalt ist Gewalt, aber bis jetzt hat er vielleicht, nehmen wir einfach das Beste an, noch nicht zugeschlagen, noch nichts demoliert, sie nicht gedemütigt, angeschrien, anders fertiggemacht. Bis jetzt.
Wieso schreibt er „bis jetzt“? Wie würde sein Satz ohne das „bis jetzt“ wirken? – „Er hat ihr nichts gemacht“.
Der Schreiber gibt mit dieser Formulierung seine Erwartung, dass ab jetzt oder ab dann mal sehr wohl etwas „gemacht“ werden könnte, zu. Und „gemacht“, damit meint er nicht das Bett. Oder einen Spaß. Sondern Gewalt, etwas, das weh tut, am Körper oder an der Seele. Der Seele seiner Ex und – sicher – der seiner Kinder. „Bis jetzt“, als ob er darauf wartete, was „ab jetzt“ kommt.
Aber sie, die Frau, die darf das nicht erwarten, die darf keine Angst haben, denn der hat ja nichts gemacht! Nein. Die Frau muss nachts in ihrer Wohnung cool bleiben, wenn ihr hoffentlich-bald-Ex vor ihren Fenstern steht und skurrile Dinge tut, die darf nicht erwarten, dass es eventuell noch schlimmer wird, dass er eventuell irgendwann doch mal „etwas macht“, wenn er jetzt schon so seltsam und angstmachend verhält … Die Frau, die soll gefälligst ihre Kinder trösten und dann selbst schlafen gehen, kuschen, am nächsten Morgen aufwachen und tagsüber funktionieren und nicht daran denken, was in der kommenden Nacht wohl sein wird.

Was ist Gewalt?

Schlagen, kratzen, hauen, habe ich meinen Kindern vor Jahrzehnten erklärt.
Anschreien auch.
Auslachen, wenn die ausgelachte Person nicht in der Stimmung und Situation frei und gern mitlacht.
Demütigen, Niedermachen.
Angst machen, zweideutig sprechen oder schreiben. So dass man eine Drohung hineininterpretieren könnte, aber „andere Leute“ eine harmlose Ansage hören, einen harmlosen Text lesen würden.
So tun, als ob: einen Schlag andeuten. Wer jemanden erschreckt, indem sie oder er auch nur so tut, als würde sie oder er gleich zuschlagen, ist genauso gewalttätig wie jemand, der die angedrohte Tat ausführt. Kennen wir doch aus den Thrillern, wo einem Mann eine Pistole an den Kopf gehalten wird und ihm kullern die Tränen runter … Warum? Man hat ihm doch nichts getan, man darf doch wohl eine Pistole in die Luft halten?
Was der Mann der Frau oder Freundin, die in Trennung von ihm lebt, hier „macht“, ist nichts als pure Gewalt. Genauer: psychische Gewalt. (Und ich möchte vermuten dürfen, dass er physisch gewaltbereit ist.)

Vor seiner eigenen Wohnung

Na klar darf jeder Mensch vor seiner eigenen Wohnung am Fenster stehen, er darf sogar skurrile Dinge tun.
Wenn es eine lustige Situation ist, zum Beispiel wenn er für die Kinder ein Kasperltheater aufführt und der Seppl schlägt dem Krokodil auf den Kopf. Das macht man sicher mal.
Aber nachts ist das eher merkwürdig.

Nachts draußen skurrile Dinge tun,
ok, auch das kann schon mal vorkommen, nach einer Party, mit ein paar Promille, im Kreis von Freunden, die mitblödeln.

Vor dem Fenster draußen nachts skurrile Dinge tun.
Allein? Na ja, auch das, verurteilen kann man es nicht. Manchmal ist man eben so gelaunt oder es reitet einen ein Hugo, den man rauslassen muss.

Jede Nacht, oder mehr als einmal nachts draußen vor dem Fenster skurrile Dinge tun? NEIN.

Nachts des Öfteren draußen vor dem Fenster seiner eigenen Wohnung skurrile Dinge tun?
Geht gar nicht, ätsch, denn die Wohnung ist nicht seine Wohnung, es ist die Wohnung von ihm, seiner Frau oder Freundin, die sich gerade von ihm trennt, und seinen Kindern. Also: DOPPELT NEIN.

Gedankenspiel: Was, wenn SIE des Öfteren nachts vor den Fenstern vor ihrer eigenen Wohnung draußen stünde und skurrile Dinge täte?
„Um Gottes Willen, die hat einen Knall“, „Und wer schaut derweil auf die Kinder?“, „Der arme Mann“, „Die braucht Hilfe“. Ach, ich hör’s.

Körig

Körig ist, wenn man seine Kinder gut erzieht und versucht, ein guter Mensch zu sein.
Noch köriger ist, Respekt zu zeigen vor anderen, auch wenn es einmal Geliebte waren, mit denen man sogar Kinder hat, und die sich jetzt trennen wollen. Sogar wenn es gar keinen offensichtlichen Grund für die Trennung gäbe, ja, auch dann.
Körig ist auch, den persönlichen Bereich, sowohl den körperlichen als auch den mentalen, eines anderen Menschen zu respektieren.

Körig ist nicht, wenn man einem anderen Menschen absichtlich Angst macht. Die oder den anderen verunsichert, verärgert, verängstigt, absichtlich destabilisiert. In Bludenz hatten wir einen Femizid, und selbst da musste man hören: „Die ist selber schuld, die hat ihn schon fünf Mal wegweisen lassen und immer wieder aufgenommen“. Das ist nicht körig, denn diese später durch ihren Mann ermordete Frau hatte ihre Gründe. Sonst hätte sie es nicht gemacht – und ob es freie, selbstbestimmte Gründe waren, wage ich außerdem zu bezweifeln. So die Story überhaupt stimmt, Ihr bösen Quatscher, Ihr solltet Euch besser an der Person des Mörders Euer Maul zerreissen.

Die Frau aus dem facebook-Beitrag jedenfalls fühlt sich mit dem, was ihr in Trennung lebender bald-Ex macht, unwohl genug, dass sie eine Freundin um Rat fragen lässt. In der Trennungsphase. Da klingelt’s doch. Das ist nicht normal. Das muss sie nicht ertragen. Nein.

Das würde kein „köriger“ Mann bei seiner Schwester, Tochter, Mutter dulden.
Ich als Frau dulde es jedenfalls nicht, auch nicht bei einer mir völlig fremden Frau.

Es ist nicht ok

und dieser Mann tut seiner Frau und seinen Kindern massiv Gewalt an.
Bitte lasst uns aufmerksam sein.
Gewalt ist nicht nur eine Ohrfeige.
Psychische Gewalt gehört gesehen, aufgezeigt, anerkannt und sanktioniert.

Nein, darf er nicht.
Ein Führender, der nicht kommunikationsfähig ist, genießt kaum Vertrauen.”
Baldur Kirchner, Manager Coach (*1939)
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