Vom Wort und von der Herkunft …
Als Exil-Vorarlbergerin höre ich oft den Satz: „Sie hom so an lustigen Akzent, an klanen. Gö jo, Sie sant net vo do.“
In den ersten Jahren in der Hauptstadt, als ich durchaus noch als viennophil bezeichnet werden wollte, legte ich mehr Gewicht darauf, dass der Akzent „klan“ war, war stolz und bemühte mich umso mehr, auch noch den letzten Vorarlbergismus in meiner Sprache zum Verschwinden zu bringen. Nach fast zehn Jahren in Wien habe ich kapituliert. Wienerisch ist durchaus auch eine Sprache (wenn man sie als solche sieht), die verstanden werden will.
Schon in den ersten Tagen meiner Zeit in Wien: Ein paar Studienkollegen und ich vermissten den mütterlichen Herd, und mit all unserem zusaınmengekratzten Geld wollten wir einmal „körig“ essen gehen.
Wir entschieden uns für ein Restaurant in der Kaiserstraße namens „Gschamster Diener“. An das Essen kann ich mich nicht mehr erinnern, ich denke aber immer noch daran, wie ich mich quälte, was wohl „gschamster“ bedeuten möge. Ein Kellner löste das Rätsel schließlich für mich auf: „Na, ‚gehorsamster‘ haaßts, vaschtengans des ned?“
Man lernt ja schnell dazu. Ein molliges Mädchen wurde bald darauf auf der Straße von ihrer Mutter gerufen: „Gfühde, kumm uma!“.
„Gfühde“, dachte ich, „was für ein seltsamer Name!“. Ich mußte aber lernen, dass „Gfühde“ soviel heißt wie „Gefüllte“, Dicke. Als später einer am Würstelstand eine „Eitrige“ bestellte und eine Käsekrainer bekam, hatte ich nicht nur genug über die Wiener Sensibilität gelernt, mir war auch gründlich der Appetit auf jegliche Würstelstand-Kost vergangen.
Paradeiser, Karfiol und Powidl sind ja Vokabeln, mit denen man sogar als Vorarlberger früh vertraut wird, und man lernt quasi von selbst, dass „Zizile“ in Wien nicht „Wianerle“, sondern „Frankfurter“ heissen. Die Standard-Floskel, die man den Wienern in Vorarlberg zuschreibt, ist „geh heast“, aber das habe ich in Wien nicht so oft gehört – was vielleicht daran liegt, dass es den Wienern meist wurscht ist, ob man ihnen zuhört oder nicht.
Der „Kinettenkrowala“ war aber wieder so ein Ausdruck, den es zu knacken galt. Eine „Kinette“, deutsch bzw. französich angelehnt „Künette“ oder so ähnlich (in Duden und Langenscheidt steht jedenfalls nichts davon), ist ein Kanalisations-Rohr, und „Krowala“ ist einer, der krabbelt. Ein „Kinettenkrowala“ ist also einer, der wie der vierte Mann in der Kanalisation herumkrabbelt – mit dem Unterschied, dass er sie wahrscheinlich reinigt, und wenn es keine Kinettenkrowala gäbe, würden die Wiener schön blöd schauen und sich den Gebrauch dieses Ausdrucks als Schimpfwort ganz neu überlegen.
Die Arbeit in der „Kinettn“ ist nämlich ganz schön „dafäöt“ und kann einen sicher ziemlich „ohfäön“. Auch dieses Wort wurde akribisch bis an die Wurzeln zerlegt, es dauerte jedoch Jahre, bis ein Geistesblitz mich lehrte, dass „fäön“ nicht von „feilen“, sondern von „faulen“ kommt. “Verfault“ ist also das, wo der Vorarlberger sagt: „Des goht mi a“.
Meine Genugtuung bekam ich, als zwei meiner Freunde, Otto und seine notorisch eifersüchtige Liesl, aus Italien zurückkamen. Sie hatten am Ende ihres Urlaubs noch um 68.000 Lire Lebensmittel eingekauft, und die Kassierin schmiss Otto ein gekonntes „Sessanta Otto“ hin. „Otto, woher kennt die dich?“, fragte Liesl mit hochrotem Kopf. Sogar in Wien hatten wir noch Mühe, sie zu überzeugen, dass diese Dame nicht „Se sant da Otto!“ gerufen hat, sondern schlicht und einfach ihr Geld wollte.
Ich habe „den Wienern“ aber auch schon einiges beigebracht. Als die Stimme beim McDonalds-Drive-In irgendetwas von „Tasche“ krächzte, ich „ja“ sagte und statt eines schönen bunten Mc Donalds-Sacks eine klebrige Apfeltasche bekam, die ich auch noch zu bezahlen hatte, lernte ein verdutzter Angestellter, was ein „Koga“ ist. Meine Freunde hörten bald darauf, dass ich dem so meine Meinung gesagt habe, dass er „in keinen Schuh mehr hineingepasst“ habe, und ein Idiot, vor meiner Zeit in Wien oft „Koffer“ genannt, heißt jetzt zumindest in meinem Freundeskreis „Halbschuh“, wie ich es in Vorarlberg gewohnt war.
Da kursiert natürlich auch noch die Geschichte des Vorarlbergers, der zur Weihnachtszeit in einer Wiener Bäckerei einen „Läbzälta“ kaufen wollte. Sicher, dass diese Vokabel nicht verstanden wird, entschied er sich dafür, einen „Pümmel“ zu verlangen. Klang für ihn ja noch viel eher als das, was es wirklich ist. Erst als die Verkäuferinnen für seinen Geschmack zu lange lachten und meinten, den habe er wohl schon, fiel ihm ein, dass das gesprochene „ü“ in Wien oft ein hochdeutsches „i“ bedeutet und umgekehrt (siehe das „Künetten“-Beispiel).
Jedenfalls verließ er die Bäckerei ohne Lebkuchen und noch dazu ziemlich schnell.
Es sind die feinen Unterschiede, die das Leben interessant machen. Wenn man die Story über den Turmbau zu Babel aber durch sprachliche Offenheit relativieren kann, trägt man doch auch einiges zum Ost-West-Dialog bei.