Buffet mit Tim Berners Lee

2019.

Beim Zappen entdeckte ich eine Fernsehsendung, die „30 Jahre Internet“ zum Thema hatte. Interessant – ich blieb hängen, hatte ich doch selbst 1989 zum ersten Mal mit dem „World Wide Web“ Kontakt und damit begonnen, erste html-files schreiben zu lernen. Warum? Weil der Onkel meines damaligen Freundes beim Cern in Genf arbeitete und wir ihn im Sommer besuchen durften.

Cern kam in Spiel, natürlich, dort wurde das WWW ja erfunden, weiß doch jeder. Neil Calder, der Pressechef des Cern 1989, wurde interviewt. Toll, den habe ich damals dort kennengelernt! Immer tiefer tauchte ich in die Sendung ein. Neil Calder habe ich damals im Büro oft besucht – ich studierte ja Publizistik und roch sofort, dass die Eröffnung des LEP (Large Electron Positron Collider, ein Teilchenbeschleuniger) und der Zugang zu Neil und seinen Presseunterlagen die Basis meiner Diplomarbeit zum Thema Wissenschaftsjournalismus sein sollten. Und auch wurden.

World Wide Web

Während ich die TV-Dokumentation verfolgte, erinnerte ich mich an eine Diskussion mit Neil, der mir damals erklärte, dass sie in diesem Jahr nicht nur die Eröffnung von LEP, sondern auch die Erfindung des World Wide Web feierten. Ziemlich frech saß ich, Studentin, auf einem Bürotisch im Office des Pressechefs und konnte seine Begeisterung für dieses WWW anfangs nicht nachvollziehen. Was das denn soll, was das denn sei, fragte ich ihn, ja sicher wieder etwas nur für Wissenschaftler, und nach seiner Erklärung: warum er denke, es sei wichtig, dass man auf die Computer von anderen Zugriff bekommen könne? Bis jetzt ging es doch auch ohne. Was sollte das bringen?

Wir diskutierten hart, ich hatte, sowieso, Gegenargumente, aber Neil schaffte es (natürlich), mich zu überzeugen, dass dieses WWW eine große Sache sei. Und dass der Kontakt z.B. mit Übersee über das WWW schneller funktioniert als auf die Art, wie wir es bei Stefan Gergely vom Profil auf der Uni gelernt hatten: Telefonhörer auf das Modem klemmen, wählen, und dann so schnell wie möglich (weil Übersee-Festnetztelefonkosten) das Vorbereitete in einer Redaktion in USA recherchieren und übertragen. Das wollte ich sehen, und Neil zeigte es mir ausführlich, beantwortete jede meiner Fragen und ich hatte meine ersten Surfstunden. Seither bin ich infiziert.

Nach einem weiteren Interview in dieser Sendung, jetzt mit Tim Berners Lee, dem Erfinder des Internet, wurden Szenen von einer Party gezeigt. „Die Geburtsstunde des World Wide Web wurde beim Cern gebührend gefeiert …“, erklärt der Sprecher. Kamera-Schwenk: Unter freiem Himmel, viele Leute in edlen 1980er-Jahre-Klamotten, ich suchte, ob ich vielleicht den Onkel meines Freundes entdecken würde. Schwenk übers Buffet. Und da blieb mir der Mund offen …

Das Buffet

Ich erkannte das Buffet. Daran würde ich mich ewig erinnern, dachte ich mir schon damals, genau auf dieser Party: Ganze, riesige Brotlaibe hatten sie ausgehöhlt, die herausgenommenen Brotstücke belegt, in Quadrate geschnitten und wieder in die Laibe gelegt, so, als wären die kleinen belegten Sandwiches in den Broten mitgebacken worden. Als wäre es normal, dass ein von außen gesehen simpler Brotlaib mit Sandwiches schwanger ist. Das hatte mir damals sehr imponiert, so etwas vergisst man nicht und geschmeckt hatten sie außerdem.

Ja, damals, 1989, feierten sie auf dieser Party die Eröffnung von LEP, des damals weltgrößten Teilchenbeschleunigers, und über die Pressearbeit zu diesem Ereignis schrieb ich meine Diplomarbeit. Deshalb nutzte ich die Zeit dort, und weil ich vor Ort war, hatte ich das ganze Pressematerial über den LEP und ging im Pressebüro ein und aus – um für meine Diplomarbeit zu recherchieren.
Was mir allerdings erst jetzt dämmerte, 2019, als ich diese profane Fernsehdokumentation sah und die hohe Feierstunde – wie hoffnungslos ignorant! –  einzig an dem tollen Buffet wiedererkannte: Auf genau dieser Feier bin ich gewesen. Als Gast von Neil Calder und des Onkels meines Freundes, Wissenschaftler beim Cern.

In der Dokumentation sagten sie jetzt wie nebenbei, dass die Einweihung des WWW gemeinsam mit der Eröffnung des LEP gefeiert wurde, auf genau diesem Event, das ich am Buffet erkannte.

Ich war dabei.

Ich hatte LEP gefeiert und gar nicht mitbekommen – aus jugendlicher Ignoranz, aus Überstimulation, aus kleinstädtischer Beschränktheit – dass hier, an diesem Ort, zu genau dieser Zeit, auch die größte Erfindung unserer Zeit gefeiert wurde. Dass Tim Berners Lee, der diese Idee nicht nur konzipiert, sondern auch auf den Boden gezogen hatte, zugegen war. Ich habe vielleicht neben ihm gestanden, vielleicht sogar mit ihm – wie mit so vielen dort! – gesprochen und nicht verstanden, wer er war und was da los war. Und es sollte 30 Jahre – um Gottes Willen, aus damaliger Perspektive eine Ewigkeit! – dauern, bis ich kapierte:

ICH WAR DABEI. Bei der Geburtsfeier des Internet. Mit Tim Berners Lee.

Html

Mit dem Studium war ich damals so gut wie fertig, und rein aus Interesse belegte ich im Herbst noch das Freifach „html“. Um viele Monate später ins Internet zu kommen, musste ich im Büro eines international arbeitenden Freundes fragen, ob ich mal vorbeikommen könne; mit einem Modem, das wir damals salopp gleich „socket“ nannten, irgendwas mit Eudora stand auch dort, es erklang ein technischer Singsang, dann war man drin und öffnete Netscape (oder war Netscape erst später?). Mit Suchmaschinen wie Yahoo und, später, Messengern wie ICQ. Html schien mir einfach, logisch, und ich lernte es, weil ich vor Neil Calder Respekt hatte und ihn für einen hellen Geist hielt, dem zu folgen auf keinen Fall schaden könne.

Es schadete nicht. Gleich meine ersten Jobs, Anfang der 1990er, hatten eng mit Internet zu tun. Ich schrieb Konzepte für Websites von namhaften Unternehmen, setzte die Kleinen auch selbst um – weil diese Firmen damals eben noch keine Websites hatten – und begleitete die Realisierung der großen Projekte als Projektmanager, weil ich verstand, wie solche Seiten aufgebaut gehörten, wie eine Datenbankanbindung funktioniert und wie man sowas auch jemandem erklärt, der noch nie davon gehört hat. Das waren damals, in den 1990ern und ganz frühen 2000ern, keine Unternehmen wie die meiner Kunden heute, die mal einen Shop brauchen, ein andermal implementierte Dialogmedien, wieder andere brauchen nichts als eine Visitenkarte im Internet: das waren Kunden wie der ORF, Ford, und Mobilkom – mit, seit 2000, „A1.net“. Darauf bin ich stolz. Sehr. Dass ich Netscape Gold (das Browser-Grab) als eine der Ersten evaluierte, den Editor „Hot Dog“ , lach, testete, Sun und Oracle kannte, als andere stolz waren, zu wissen, was die Worte bedeuteten. Dass wir Websites noch „händisch“ für verschiedene Betriebssysteme in Kombination mit allen Sorten von Browsern optimierten und dazu eine Fabrikshalle von Studenten beschäftigten, die testeten und ihre Bug-Reports schrieben. Dass wir in PHP Shop-Scripts um ein – wirklich! – Heidengeld schrieben, die schlechter waren als die, die man heute als Apps gratis schnell herunterlädt und mal eben befüllt. Jetzt muss ich schon wegen des Vokabulars, das ich hier verwende, sentimental, aber herzlich lachen. Pioniere waren wir, und wir wussten es und handelten danach.

Oft habe ich an Neil Calder gedacht und daran, wie er in mir den Instinkt für Bleibendes geweckt hat. Ihm verdanke ich, dass ich zu den ersten Internet- und Wireless-Natives (gut: Wireless verdanke ich David Ogilvy) gehöre. Merci, homme sage, merci, sages.

Nur: dass ich damals auf der Inaugurationsparty des World Wide Web war, auf der Party, auf der auch Tim Berners Lee gefeiert wurde, dass ich dort Bier trank und besonders gute Sandwiches aß, während ich die gleiche Luft atmete wie er, in Genf, 1989: das wurde mir erst 30 Jahre später klar.

Weil ich die Party am Buffet erkannte.

 

27 km long CERN LHC tunnel, located 100 metres under the ground close to Geneva. Huge superconducting electromagnets will be located here. On the right you see transport wagons.
Bildquelle: „Inside the CERN LHC tunnel.jpg“,
Created: 19 October 2004, Released in the GNU FDL domain by Juhanson on Wikipedia

 

Buffet mit Tim Berners Lee
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If I have seen further it is by standing on the shoulders of giants.”
Sir Isaac Newton, Wissenschaftler (1676)
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