Montafon in Wien …
Das Haus kannte ich schon länger, und als ich es das erste Mal sah, musste ich wie vom Donner gerührt davor stehenbleiben und mit offenem Mund staunen. Wenn ich später daran vorbeiging, berührte es mich mit seinem Zauber: seine Bauweise kenne ich nur aus meiner Heimat. Oft spazierte ich daran vorbei und blieb stehen, um es zu betrachten, manchmal sah ich Licht, selten ein anderes Lebenszeichen. Und wenn ich sparte, dann immer mit dem kühnen Wunsch, dieses Haus einmal zu kaufen.
Es steht in einem Vorort von Wien, doch würde man es nach Schruns versetzen, fiele es nur durch seine Schönheit auf. Und ich bekam meine Chance: eines Tages sah ich einen sehr alten Mann im Garten arbeiten. Wir kamen ins Gespräch, weil ihm meine neugierige Blicke auffielen. Als ich ihm erklärte, dass ich die Bauweise seines Hauses nur aus meiner Heimat kenne, meinte er: „Ja, kommen Sie denn aus dem Montafon?!“
Mir war klar, dass es unverschämt war, dem Mann vorzuschlagen, mir sein Haus von innen zu zeigen. Trotzdem wollte ich nichts anderes, ich witterte die Gelegenheit und es surrte in meinem Kopf, als ich im Hausflur stand und er mich seiner Frau vorstellte. Beide waren schon um die neunzig Jahre alt, hörten schlecht und schienen sich sehr über meine offene Begeisterung zu freuen. Der Alltag fiele ihnen schwer, meinten sie, und Besuch komme so gut wie nie.
Mit leuchtenden Augen führten sie mich voller Stolz durch das ganze Haus: die Küche im typischen hellblau und weiß, ganz zentral ein himmelblauer Sparherd; ein großes Bad daneben, später erst eingebaut. Der Wohnraum roch nach Tradition – Schnitzereien, Butzenscheiben, ein Kachelofen und der Herrgottswinkel gaben mir das Gefühl, ein Kind zu sein und die Leute nur in der Hoffnung besucht zu haben, Schokolade zu bekommen.
So wanderten wir durch das ganze Haus, nicht einmal den Gemüsekeller und die Dille unter dem Dachgiebel ließen wir aus. Die Geschichte des Gebäudes ist so einfach wie faszinierend: ein Wiener Architekt hatte das Montafon in den 1920er-Jahren besucht und war von der Bauweise einer Großbürgervilla so begeistert gewesen, dass er, viel später, das Haus kaufte, um es Balken für Balken abbauen zu lassen und nach Wien zu bringen. Mit der Eisenbahn. Dort bauten es Montafoner Holz-Handwerker zusammen, und sie achteten auf jedes Detail: von der typisch dunkelgelben Farbe der Unterseite der Dachbalken bis zu den Balkonschnitzereien und den Möbeln wurde alles wieder so aufgebaut, wie es in Schruns gestanden hatte und zu dieser Zeit im Montafon der betuchteren Leute üblich war. Erst viel später kauften meine Gastgeber das Gebäude, doch blieb auch dann noch jedes Möbelstück, jeder Teppich, jeder Fußabstreifer und jeder Teppichklopfer an dem Ort, der ihm von vornherein, in Schruns, schon bestimmt war. Nur eben jetzt in einem Vorort von Wien, an der Westbahn.
Wieder zu Hause, zeichnete ich wie ein Einbrecher Skizzen von dem Haus. Und wohl wird es ein unerfüllbarer Traum sein, dieses Haus jemals zu kaufen: Es ist mehr wert als ein Normalbürger bezahlen kann, und selbst wenn mich die Lottofee treffen würde, kann ich mir nicht vorstellen, dass die beiden oder ihre Erben dieses Schmuckstück jemals hergeben werden.
Fantasie, Begeisterung und Weitblick kann Berge, und manchmal auch Häuser versetzen. Ein Stück Heimat, ein Stück Tradition und Sentimentalität, unendliche Schönheit gemischt mit Frieden und Kindheit: daraus sind Träume gemacht.
Und manchmal auch aus Holz und Butzenscheiben.
Anmerkung: dieses Erlebnis, dieses Haus inspirierten mich fast 20 Jahre später zu meinem ersten Roman, „Außer Haus“.