Auf der Bank …
Die Stadtplaner in Wien haben scheinbar auch an mich gedacht, als sie die Fahrradwege planten. Ein Weg führt an meiner Haustür vorbei, durch einen wunderschönen Park, den Ring entlang und dann direkt in das Viertel Wiens, in dem „man“ sich trifft. Diesen Weg fahre ich ziemlich oft entlang, wie auch gestern. Wir, ein paar Studenten, wollten uns in kleiner Runde auf ein Getränk treffen .
Vor meiner Haustür begegnete ich einer Dame, die in unserer Gasse jedem gut bekannt ist. Sie führt trotz ihres hohen Alters immer einen Kinderwagen mit sich, der allerdings anstatt eines Kindes Flaschen und Kleidung bettet.
lm Park saßen zwei Männer und eine Frau friedlich auf einer Bank und sahen den spielenden Kindern zu. Das idyllische Bild wurde nur leicht durch einen „Doppler“ gestört, der zu ihren Füßen stand und aus dem sie abwechselnd tranken. Der „Kelly-Family-Look“, in dem die drei gekleidet waren, wäre mir ohne die große Flasche gar nicht weiter aufgefallen.
Kurz vor dem Ring querte wieder eine Frau meinen Weg, die den Gehsteig zusamrnenkehrte und dabei lauthals mit einer nicht anwesenden Person stritt.
Auf einer Parkbank in der Nähe saß eine Frau allein, umgeben von einem Haufen prallgefüllter Plastiktaschen. Die Frau kaute an einer Brotrinde und schien den lauen Abend durchaus zu genießen.
Unmittelbar dachte ich an Bludenz, mein Städtle, meine heile Welt, in der alles sauber und freundlich ist. Leise Wehmut überkam mich, weil das „Mitanand“ wenigstens hier doch noch zählt. Sandler? Gibt es: als jeanstragende Strubbelköpfe, die man am Postplatz bereits am Vormittag ein Bier trinken sieht. Oder von denen man hört, daß ein Freund von einem Freund sie „todsicher mit einem Joint“ gesehen habe, aber niemals offensichtlich Heimatlose, Obdachlose, um die sich keiner zu kümmern scheint.
In der Stadt hatten wir eine fröhliche Runde und lachten vor allem über einen adeligen Bekannten meiner Freundin. „Ich sag´s Dir, der ist so ein Snob, der küßt mir jetzt sogar die Hand, seit ich verheiratet bin!“, war der Lachschlager des Abends.
Danach wurde unter uns Habenichtsen noch ein bißchen gestritten, wer wen einladen darf. Am Schluß zahlte einer die Runde, der es von der Steuer absetzen kann. Wir machten uns alle mit Autos, Rädern, mit Öffis oder zu Fuß auf den Weg nach Hause. Lauter Studenten, die von „eigentlich nichts“ leben und Monat für Monat das Beste tun, um über die Runden zu kommen, der eine erfolgreicher, der andere bemühter.
Es war dämmrig, und trotzdem erkannte ich, daß die Frau mit den vielen Plastiktaschen am Ring gerade dabei war, sich eine Strumpfhose anzuziehen. Sie hatte den Rock hochgehoben, kämpfte mit den Tücken des Zwickels und verdrehter Strumpfbeine und bereitete sich sichtlich neben den vorbeifahren den Autos auf die Nacht vor.
Die streitende Frau mit dem Besen hatte nichts als das blankgefegte Trottoir hinterlassen, und aus dem Trio im Park war ein Duo geworden. Sie lag auf der Bank, den Kopf in seinem Schoß, er saß und schlief mit eingesunkenem Kopf, der Doppler zu ihren Füßen war leer.
„Es ischt an arme Wält“, pflegte mein Großvater in solchen Momenten wehmütig-mitleidig zu sagen.
Ich dachte wieder an die Leute bei der Bludenzer Post, und an den adeligen Handkuss. Und ich habe immer noch das Gefühl, daß die „arme Welt“ in Bludenz um vieles reicher, weil menschlicher ist als die in Wien.