Alte Freunde …
Immer schon habe ich ältere Menschen sehr gern gehabt. Es mag daran liegen, dass ich wunderbare Großeltern hatte und habe, mit denen ich sehr oft zusammen war und bin. Schon immer liebte ich die faltige und dünne Haut, die grauen Haare und vor allem die Geschichten älterer Menschen. Und ich fühle mich wohl, wenn ich ganz zart, aber doch innig von ihnen umarmt werde und dabei Kernseife oder Haarspray rieche.
In Wien ist mir schnell aufgefallen, welcher Unterschied auch im Umgang mit älteren Menschen zwischen dem Ländle und der Provinz Wien besteht. Zuerst erschien es mir seltsam, in der Straßenbahn dafür gelobt zu werden, wenn ich einer älteren Dame meinen Sitzplatz überließ. Dann jedoch häuften sich Berichte über Großeltern, die im Heim wohnen und die man eben zu den Feiertagen besuchen „muss“, weil man bei diesen Visiten ja auch Geld erhält. Noch ärger: fast beiläufige Erzählungen über den Tod von Großeltern, die „eh schon krank waren“ und alleine im Spital gestorben sind („ich habe sie lange nicht gesehen, und eines Tages wurden wir aufgerufen und uns wurde mitgeteilt, dass …“). Und über die, die niemanden haben, spricht gar keiner.
Mein heiles Ländle sieht anders aus: da ist es zumindest in meinem Umfeld eine Schande, sich nicht um Eltern und Großeltern zu kümmern. Da hat Vorarlberg der Provinz wieder einmal einiges voraus, denn in Wien begegnet einem die Einsamkeit jeden Tag, wenn man sein Augenmerk auf die älteren Leute legt. Und ich denke, ich liege mit meiner Einschätzung, dass in Vorarlberg weniger Ältere „mausallein“ sind als in Wien, richtig.
Natürlich ist mir klar, dass es auf dem Land und womöglich mit eigenem Haus einfacher ist, sich um die „Generation davor“ zu kümmern. Aber genauso wahr ist, dass es für ältere Menschen besonders in der Stadt unendlich schwierig sein kann, allein über die Runden zu kommen: schon Einkaufen kann eine Strapaze sein, wenn man im dritten Stock wohnt und die Straßen glatt sind. In Wien fällt mir auf, dass es viele Ältere gibt, die wirklich niemanden haben, die angewiesen sind auf Essen auf Rädern und auf freundliche Nachbarn, weil „die Eigenen“ entweder alle gestorben, „voll berufstätig“, uninteressiert oder in einem anderen Land sind. So jemand ist Frau Valek.
Frau Valek lebt in einem Haus, in dem ich früher einmal wohnte, eine Etage unter meiner. Von Anfang an stand sie morgens immer zur selben Zeit am Gang und unterhielt sich mit einer ebenfalls über achtzigjährigen Dame. Zuerst wurde ich nur begrüßt und in stereo gemustert, doch als ich mir einmal die Zeit nahm, stehenzubleiben und ein paar Worte mit den beiden zu wechseln, begann eine liebe Beziehung, besonders mit Frau Valek.
Trotz langer Ganggeschichten und obwohl ich oft anbot, etwas vom Einkaufen mitzubringen, dauerte es ungefähr zwei Jahre, bis Frau Valek einmal an unsere Tür pochte und um Hilfe bat, weil etwas nicht funktionierte und sie einfach Hilfe brauchte. Für uns Junge war es ein Leichtes, in der blitzsauberen Wohnung auf die Leiter zu steigen und die störrische kaputte Glühbirne zu ersetzen. Unnötig zu erwähnen, dass Frau Valek genau das vorher natürlich selbst probiert hatte.
Ich kenne nun viele Geschichten aus ihrem Leben, aber zur Last fallen wollte sie uns nie. Nur einmal blieb sie zum Kaffee und einmal ließen wir sie nicht aus der Wohnung hinaus, weil wir gerade gekocht hatten – und es hat ihr geschmeckt, wir hatten eine Gaude und haben sie dann spät abends noch zu ihrer Wohnung begleitet.
Mittlerweile sind viele ihrer Bekannten gestorben, und als sie im Sommer im Spital war, haben wir sie besucht. Frau Valek hatte Tränen in den Augen, als ihre Spitalsbekannten meine Tochter als „das Urenkerl“ betitelten, und beide, Groß und Klein, spazierten Hand in Hand, mit wackligem Gang und voller Stolz von Zimmer zu Zimmer und sammelten Schokoladekekse ein. Da hat Frau Valek mich zum ersten Mal umarmt.
Wenn ich nun in ihrer Nähe bin, klopfe ich immer noch gern an ihre Tür und schaue einfach, wie’s ihr geht und was es Neues im Haus gibt. Ganz so, wie ich es schon in Bludenz mit fünf Jahren bei „Tante Mizzi“ im obersten Stock praktizierte, bei der ich dann immer Klavier spielen durfte und die damit meine Liebe zur Musik weckte.
Jetzt ist Weihnachten und ich wünsche mir, dass im ganzen Land auch an ältere Menschen gedacht wird. Besucht sie, seid bei ihnen, genießt ihre Geschichten und seid genauso tolerant mit ihnen, wie Ihr es bei Euren süßen Kindern auch wärt. Arbeitet gegen die Einsamkeit, unterstützt mit Euren Weihnachtsspenden gezielt die, die sich um die Alten und Kranken abnehmen und Euch damit Arbeit abnehmen, die Ihr selbst nicht leisten könnt.
Und bekräftigt die, die sich um ältere Menschen – Familienmitglieder, Bekannte oder Pfleglinge – kümmern. Seid nett zuanand und denkt an alle und versucht, diese Beziehungen auch über das Weihnachtsfest hinaus zu pflegen. Denn ein verschmitztes, weises Lächeln mit glänzenden Augen aus einem faltigen Gesicht bringt genausoviel Freude wie strahlende Kulleraugen aus 90 cm Höhe. Die Erfahrungen und alten Geschichten können uns wertvolle Impulse für unser eigenes Leben geben – und vielleicht freuen wir uns selbst einmal, wenn wir erzählen können und jemand da ist, der uns zuhört, ohne uns das Gefühl zu geben, ihm auf die Nerven zu gehen.
Frohe Weihnachten!