Wien. Bludenz. Jedenfalls abends …
Den einen traf ich zufällig und unvorhergesehen nach vielen Monaten an der Uni, machte mit ihm einen Kinobesuch aus und er wollte versuchen, den anderen noch zu erwischen und zu informieren. Der Schleicher, wie wir ihn nannten, war dann aber unauffindbar, weil er nämlich gar nicht mehr in der Elisabethstraße wohnte, und so traf ich mich eben mit JC allein, um Jane Campions “An Angel at my Table” zu sehen.
Schmunzelnd kamen wir aus dem Kino heraus und fanden den Film reichlich seltsam, obwohl er mittlerweile zu meinen Lieblingsfilmen gehört. Dann gingen wir in das nächste Café in Wien und trafen prompt auf den Schleicher. JC konnte es kaum fassen, ich auch nicht, aber aus anderen Gründen: Die Hände des Schleichers waren plötzlich haarig und früher waren sie doch immer so schön glatt gewesen wie die von Harry im Derrick – na, das machte wohl “das Alter”. Da saßen wir nun in unserer alten Union und feierten das Revival der alten Zeiten.
Heiß war es, trotzdem wollten wir in eine Disko. Wir landeten auch in einer in der Innenstadt, aber nicht, ohne wie früher in alter Tradition eine Leberkässemmel oder einen HotDog am Würstelstand gegessen zu haben. Der Schleicher hatte einen alten VW, und den nahmen wir, um nach Zwiebeln, Senf und Ketchup stinkend zum Tanztempel zu fahren. Dort wurden wir natürlich nicht so begrüßt, wie wir es uns gewünscht hätten – zu viele Leute scherten sich keinen Dreck um uns. Es war laut und wir wollten uns eigentlich unterhalten, man wurde geschubst und geschoben und keiner interessierte sich für unsere Freude, wieder beisammen zu sein. Sogar das Personal schien uns zu negieren.
Kurzes Kopfnicken wie früher – wir gingen. JC und ich standen bald auf der Straße, aber der Schleicher war nicht da. Gerade, als JC ihn suchen gehen wollte, kam er grinsend die Stiegen vom Souterrain heraufgelaufen.
“Rennt! Schnell! Lauft mir nach! Ich weiß, was wir jetzt machen! Schneeeeeelllllll!”
Rennend, lachend, laufend, kriechend, jedenfalls zu Fuß gingen wir bis zur nahen Schwedenbrücke. Und von dort die Stiegen zum Kai hinunter. Wir setzten uns ans Ufer des Donaukanals. Da griff der Schleicher plötzlich unter sein Blouson und hatte einen – in der Disko gestohlenen – Doppelliter in der Hand. “Die waren so unfreundlich, das haben die verdient. Den haben WIR verdient”, beschlossen wir armen Studenten und lachten uns krumm. Wir saßen noch die ganze Nacht bis zum Morgengrauen unter der Brücke, tranken den Wein direkt aus der Bouteille, philosophierten, betrachteten die Sterne und sangen die Lieder, die wir alle konnten – das aber nur, um dem Sandler-Image gerecht zu werden.
Am Morgen wurde ich dann von einem besäuselten Schleicher und einem schlafenden JC im Käfer nach Hause gebracht, so wie es sich gehört. Sie fuhren weiter, und wie ich später erfuhr, schlief der Schleicher dann in seinem Bett und JC im Auto vor Schleichers Haus.
Unglaublich, dass wir uns seither nicht gesehen haben, und diese denkwürdige Philosophen-Nacht unter der Brücke ist nun mindestens acht Jahre her. Aber JC ist in Frankreich. Der Schleicher, wie ich gehört habe, in Deutschland. Und ich? Denke noch immer jedesmal an unsere poetische Nacht, wenn ich über die Schwedenbrücke fahre.
Nachtrag vom August 2016:
Ich will es jetzt zugeben – JC heißt mit Nachnamen Maier, „der Schleicher“ heißt Schmidt und ich war damals Müller.
Erst neulich saßen JC, der Schleicher und ich wieder mal zusammen, bei In-Getränken, Bier und Wein, bei mir auf dem Balkon mit Blick auf Bürs-Manhattan, bis spät in die Nacht.
Lange haben wir uns davor nicht gesehen, es war einiges aufzuholen. JC wohnt jetzt in Deutschland, der Schleicher in der Schweiz, und ich habe ja auch die Terrasse gewechselt. Die Buben zeigten Fotos ihrer Verflossenen und Freundinnen und ich die meiner Kinder. Was die Diskussion anstieß, ob wohl den Frauen ihre Verflossenen egal sind, sobald sie sich fortgepflanzt haben, und warum. Ein Wort gibt das andere, reihum erzählte jeder seine Geschichte, dann eine Geschichte und wieder eine.
Einige Promille später, die Sterne bewegten sich schon am Himmel, erklärte ich im Inbrunst meiner Überzeugung zum Abschluss einer wirklich infamen, abgefeimten Story aus meinem Leben:
„Und SO ETWAS macht man nicht mit Müller!„
Darauf JC:
„…und mit Maier!„
und der Schleicher:
„… und mit Schmidt!„
Pech und Schwefel, meine Buben. Danke. Für das Lachen, Eure Freundschaft, für Euch.