Seltsame Vögel …
Seit ich in Wien (halbwegs) im Grünen wohne, sehe und höre ich nun endlich auch wieder Vögel zwitschern. Ein schönes Erlebnis hatten wir schon ganz zu Beginn, als wir diese Wohnung bezogen: wir saßen gerade beim Frühstück, als wir aus dem Wohnzimmer ein zartes Zwitschern hörten. Eine kleine Spiegelmeise hatte sich in unserer Stube verirrt, saß – wie ein Besuch – auf der Couch und trällerte ihr Lied. Wir beobachteten das Vögelchen lange, und als es unruhig wurde, öffneten wir alle Fenster und es flog wieder hinaus. Lange noch hat meine Tochter davon geredet.
Doch auch andere Vögel bewohnen unseren Stadtteil: Tauben. Eines Tages kam ich von der Arbeit nach Hause und hatte das Gefühl, nicht allein zu sein. Wieder aus dem Wohnzimmer hörte ich es flattern. Vorsichtig öffnete ich die Türe und freute mich schon auf ein süßes kleines Vögelein – doch auf dem Tisch hockte dick und fett eine Taube.
Als sie mich sah, wurde sie nervös, flog wie wild im Kreis herum und donnerte immer wieder gegen das einzige geschlossene Fenster. Die offenen ignorierte sie. Es grauste mich unbeschreiblich. Dieses riesige Vieh – wenn es flatterte, spürte ich förmlich seine Kraft und seine Wut, hier gefangen zu sein, und ich wollte das Tier auf keinen Fall berühren. Alle Meldungen über Tauben als Krankheitsüberträger kamen mir in den Sinn, und ich bekam Gänsehaut.
Ich öffnete das einzige noch geschlossene Fenster, kletterte sogar zur Oberlichte hinauf, um auch noch die letzte Luke auszunützen. Wieder am Boden, glaubte ich, das Tier sei bereits zu einem anderen Fenster hinaus – ich hatte es lange flattern hören und nun war es ruhig.
Ich dachte an Patrick Süßkinds Roman „Die Taube“. Als ich das Buch las, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sich ein erwachsener Mann dermaßen von einer einzigen Taube aus der Fassung bringen lassen konnte. Nun aber verstand ich.
Denn meine Taube war nicht hinausgeflogen, sondern hatte sich hinter einem Kasten versteckt und schien nicht mehr vor und zurück zu können. Ich durchdachte schon die Situation, einen verendeten Vogel in meiner Wohnung zu haben, und rief ich nun doch lieber Freunde zu Hilfe. „Ich bin gleich da“, tröstete mich wenig. Das Tier fing an, verdächtig zu gurren.
Da wagte ich in meiner Verzweiflung den letzten Schritt: mit einem gedrehten, weichen Papierstab stocherte ich sie hervor, sie kam heraus, kreiste noch einmal um meinen Kopf und fand dann endlich den Weg hinaus.
Ich musste mich erholen. Ganz brav hatte das Tier nur eine Ecke als Klo benutzt, doch seine Federn flogen überall herum. So gründlich habe ich noch nie geputzt – und als auch der letzte Dreck beseitigt war, bastelte ich kleine Scherenschnitte von Vögeln, die nun in unseren Fenstern hängen (was bei normalen Stadthausfenstern zugegeben etwas lächerlich aussieht).
Erst viel später entdeckten wir, dass die alte Dame unter uns in ihrer Wohnung die Vögel füttert. Als sie einmal ihre Tür offenstehen hatte, sahen wir in ihrer ganzen Wohnung – Tauben, die dort wohnten und sehr heimisch wirkten: Der Boden wuselte, auf allen Kästen und Flächen standen und gurrten sie wie auf dem Markusplatz in Venedig.
Wien ist zwar eine Millionenstadt, doch auf Einsamkeit trifft man überall.